Monday, June 17, 2013

Posted by mañanitas |

Sicher, es gibt viele Unterschiede zwischen zwei Kulturen. Was mir aber sehr bewusst geworden ist, ist die Frage der nationalen Identität. Ich möchte gar nicht von Patriotismus sprechen, sondern lediglich von dem Zugehörigkeitsgefühl zu seiner Nation. In Mexiko scheinen sich alle Mexikaner ihrer Nationalität so bewusst zu sein, sie tragen es sozusagen stets bei sich. Sie möchten auch, dass Ausländer ihr Land mögen, dass sie vieles kennenlernen, sie wissen um die Vielseitigkeit ihres Landes und sie schreiben ihrem eigenen Charakter das Attribut "mexikanisch" zu. Mir scheint als sei es mehr oder weniger allgegenwärtig. Sie wissen, wo sie sich aufhalten.
Wir Deutschen wissen auch, wo wir uns aufhalten, das ist nicht, was ich meine. Aber mir persönlich ging es nie so, dass ich dachte: "Klar handle ich gerade so, ich bin ja Deutsch." oder "Hach ja, so typisch für uns, schöne Sache." ..das klingt gerade so konturlos, gerade weil ich eben nicht auf ein Beispiel kommen mag.
Ohne Frage haben wir auch einige deutsche Lieder, einige deutsche Gerichte und vielleicht ist sich manch einer beim Trinken eines angenehm prickelnden Bieres ebenfalls bewusst, wo er sich denn gerade aufhält. Doch ist es ein ganz anderes Ausmaß.
Hier hingegen in Mexiko bin ich stääändig damit konfrontiert, dass ich Deutsch bin. Ich sehe Deutsch aus, ich erkläre, dass ich aus Deutschland komme; und gewiss erwachen in den Köpfen der Menschen, die ich hier kennenlerne, ein paar Assoziationen: Autos, Fussball, eventuell aber auch Adjektive wie "kalt", mit der Tendenz "humorlos", auch aufgrund unserer Sprache. Natürlich gebe ich meine Bestes, dieses Vorurteil zu widerlegen ;) doch darauf wollte ich gar nicht zu sprechen kommen. Eher möchte ich sagen; hier falle ich auf, hier ist mir bewusst, dass ich deutscher Herkunft bin. Doch in Deutschland selbst, habe ich nie wirklich über meine nationale Identität nachgedacht.
Es ist interessant. Ich finde es nicht unbedingt nötig, stolz auf sein Land zu sein, das war mir schon immer zu abstrakt - schließlich bestimmst du keineswegs, wo du geboren wirst. Aber sich irgendwie zugehörig zu fühlen, zu seiner Heimat, das steht vielleicht unter dem Begriff "sich dort zu Hause fühlen" (ohne nun das Vermissen zu meinen), das ist ein Empfinden, das ich hier gerne habe; das hatte ich in Deutschland nicht. Die Mexikaner jedoch müssen dafür glaube ich nicht unbedingt reisen. Im Gegenzug kommen dann die 1000 anderen guten Gründe, zu reisen, zur Geltung :)


Soweit so gut. Darüber habe ich desöfteren nachgedacht. Nun ein Themawechsel; auch wenn es traurigerweise auch etwas mit Deutschland zu tun hat.

Childhood is measured out by sounds and smells and sights, before the dark hour of reason grows. 
 
Vielleicht kommt dieses Zitat von John Betjeman einigen bekannt vor. So beginnt der Film "Der Junge im gestreiften Pyjama", eine Verfilmung des gleichnamigen Buches vom irischen Verfasser John Boyne. In diesem Buch, und folglich ebenso im Film, wird die Zeit des Nationalsolzialismus und dem Völkermord aus der Sichtweise eine naiven Jungen dargestellt. Da sein Vater zum Lagerkommandanten nach Ausschwitz berufen wird, zieht seine Familie mit ihm nach Polen. Bruno ist unglücklich darüber, weil er nun nicht mehr mit seinen Freunden spielen kann. Außerdem gefällt ihm sein neuer Wohnort wenig, alles scheint ein wenig trostlos. Bruno weiß nichts über die tatsächlichen Tätigkeiten seines Vaters, er weiß bloss, dass er ein wichtiger Mann ist. Eines Tages quält ihn wieder die Langeweile und er erkundet das Gebiet. Er stößt zu dem Zaun des Konzentrationslagers vor, wo er Schmuel kennenlernt, einen jüdischen Jungen. Bruno stellt sich das dortige Leben angenehm vor, Schmuel hat im Gegensatz zu ihm sicher Spielkameraden, anfangs glaubt er gar, die Nummer auf seinem "Pyjama" sei Teil eines Spiels. Er besucht ihn beinahe jeden Tag und sie werden gute Freunde, auch wenn sich Bruno sehr daran stört, dass er immer hinter diesem Zaun sitzt. Er bemerkt auch nach längerer Zeit nicht die grausamen Umstände seiner Zeit, zumindest schlussfolgert er nicht - daraus, dass Schmuel stets großen Hunger hat, dass der angestellte Jude in seinem Haus auf einmal verschwindet, als ihm ein Missgeschick passiert, und selbstverständlich auch nicht aus dem schwarzen Rauch, den er aus dem Lager aufsteigen sieht.
Das Ende ist furchtbar tragisch und die Konsequenz aus seiner Unwissenheit, die ihm seine Eltern, seine Schwester oder auch Schmuel niemals nahmen. Bruno schaufelt sich einen Weg ins Konzentrationslager, um Schmuel bei der Suche nach seinem Vater zu helfen. Sie geraten in eine Selektion hinein und werden mit in die Gaskammer getrieben.

Diesen Film haben sie im casa hogar gezeigt.. ich hatte das Buch nie gelesen und den Film auch nicht gesehen, doch hatte ich reichlich davon gehört, um der Lehrerin sagen zu können, dass ich nicht glaube, der Film sei geeignetes Material aufgrund des schlimmen Themas; und dass ich genauso wenig erwarte, dass sie den Film verstehen werden. Die Lehrerin sicherte mir jedoch zu, es sei vollkommen in Ordnung. Na gut. Vielleicht ist der Film auch gar nicht so grausam, dachte ich (ich kannte das Ende nicht!!) und blieb mit im Klassenzimmer, um den Film mitzuschauen, mit größter Aufmerksamkeit, um auch alles im Spanischen zu verstehen. Es war ziemlich schrecklich für mich.. die Kinder haben den Film aus der gleichen Sichtweise wie der Protagonist Bruno selbst verfolgt und aufgefasst. Klar, ihnen fehlt jeglichen Hintergrundwissen. Sie wissen nicht mal, wo sich das alles abgespielt hab, sie wissen auch nicht, dass diese fiktive Erzählung in einer realen Zeit eingebetten ist.
Das heißt mehr oder weniger, der Film hat ihnen an sich nichts gebracht, außer dass er sie verwirrt hat und ihnen sicherlich einen Schrecken eingejagt hat. Zumindest am Ende, wenn Bruno und Schmuel zusammen mit Hundert anderen Menschen in der Gaskammer umkommen.
Ich denke, mit 12 Jahren kann man den Film schon sehen, denn er ist geprägt durch die subtile Erzählweise des Brunos, die die Grausamkeiten verdeckt und dauerhaft nur andeutet. Ein 12jähriges deutsches Kind kam auch bestimmt schon einmal mit der Materie in Berührung, zumindest würde ich das von vielen Fällen behaupten. Aber es allen, auch den kleinen Mädels des Heims vorzusetzen, ohne jegliche Erklärungen?? Was sollte das?? Eventuell werden die Mädchen in ihrer sekundären Schule das Thema im Geschichtsunterricht behandeln, aber fest steht das gar nicht, und in welcher Form kann ich auch nicht einschätzen. Deswegen hab ich am selben Tag noch beschlossen, das Thema des Holocaust und Nationalsozialismus mit den 5. und 6. Klässlern im Unterricht zu behandeln und denke seitdem sehr viel darüber nach - dadurch, dass ich zurzeit krank bin, hab ich die Zeit, jedoch noch nicht die Gelegenheit gehabt, diesen Unterricht zu realisieren. Ich weiß, ich muss sorgfältig auswählen, was genau ich ihnen da erzähle. Und es ist ein seltsames, auch unbehagliches Gefühl, es als Deutsche im Ausland zu erzählen. Allerdings glaube ich, ich werde es ihnen noch am Besten näherbringen können. Es ist so merkwürdig.. wie soll ich ihnen etwas erklären, was ich selbst nie verstanden habe? Dass es möglich war, dass so viele Menschen so ..unmenschlich sein konnten? Dass es nicht gestoppt wurde? 
Bisher wissen sie noch nicht einmal, was Juden sind.. gut, dass ich ihnen erklären kann, dass es an sich unaufregend normale Menschen sind, die eine sehr alte Religion leben, andere Feiertage und einige hunderte Gebote mehr als Christen haben.

Es ist Teil der Geschichte meines Landes, es könnte dunkler nicht sein und auf eine bestimmte Weise werden die mexikanischen Mädchen mich deshalb damit in Verbindung bringen, obwohl ich mich nicht weiter entfernt davon fühlen könnte. Sie kennen mich ja und sie werden keinesfalls ein negatives Urteil über alle Deutschen fällen oder so was in der Art und doch werden diese 1-2 Unterrichtsstunden sehr, sehr befremdlich werden, glaube ich.
Mal sehen, genug spekuliert! Ich berichte euch dann! Wenn ich endlich wieder arbeiten gehen kann. Ernst gemeint ;)

Macht's gut und bis bald!

2 comments:

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  2. Ja, ganz genau. Andersherum habe auch überlegt, ob mir die Mexikaner deswegen so bewusst-mexikanisch erscheinen, weil sie eben mir als Deutsche gegenübertreten; aber nein, auch zwischen ihnen selbst.. Beispiel: Die Direktorin, zwei Mädchen und ich waren vor einigen Tagen bei einer Veranstaltung einer Organisation, die sich bemüht, weit verbreitet an Schulinstitutionen gratis Rucksäcke zu verteilen. Bei einer Rede wurde in etwa gesagt: "..damit sie lernen ihre Sache zu pflegen und sie zu besonnenen Mexikanern heranwachsen." Genau so etwas wird wirklich häufig gesagt.

    "Auf dass wir vernünftige Deutsche werden!" auf der anderen Seite klingt einfach komisch :D
    Ich find' Deutschland auch ziemlich gut. Haha und ich liebe die Liste. Sehr schmeichelhaft, viel Lob. Als hätte die Autorin mich kennengelernt, höhö.

    Te mando un montón de abrazos, estoy deseando volver a verte. Aunque todavía falte un rato :P
    <3 <3 <3

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